Besten Dank, Frankfurter Rundschau, daß ich mir heute schon zum Frühstück die Fressen von vier Leistungsträgern aus der Werbebranche anschauen muß. Und als ob das nicht schon genug zum Kotzen wäre, steht auch noch dabei, was die Herren zum Thema "Wie kommt die Marke SPD aus der Krise?" zu sagen haben (FR 12.07.2008:44/45). Dabei stammt der mit Abstand dämlichste Beitrag aus dem Hause Springer & Jacoby, was auch daran liegen mag, daß (gottlob) niemand von Jung von Matt gefragt worden ist. Andererseits hat nun wirklich niemand den Springer & Jacoby-Chef Öztürk gezwungen, Sätze wie diesen zu Protokoll zu geben: "Wir können momentan unglaublich viel von Amerika lernen." Muß man völlig verblödet sein, um ernsthaft zu glauben, irgendjemand könnte unglaublich viel von Amerika lernen? Oder genügt es schon, in der Werbebranche beschäftigt zu sein, wo man ohnehin sein Geld damit verdient, die Leute zu verarschen? Schwer zu sagen, denn es geht gleich noch dümmer weiter: "Zum Beispiel von Barack Obama, der einfach mit Change als Vision antritt. So eine Vision wäre für die SPD entscheidend." Change, okay. Aber was? Und wohin? Man mag von Obama halten, was man will, aber seine Wahlkampagne findet bis jetzt – abgesehen von der Schlammschlacht mit seiner innerparteilichen Konkurrentin, wovon wir unter Garantie unglaublich viel lernen können – ungefähr auf dem Niveau von "Wir können es schaffen" statt, damit es auch die letzte der Dumpfbacken, von denen er gewählt werden will, versteht. Fürwahr eine Vision.
Bei Öztürks Kollegen findet man unter all dem branchenüblichen sinnentleerten Geblubber ("Letztlich gilt es, Gefühle und Emotionen auszulösen"; "Ohne einen emotionalen Rückgriff auf ihre Wurzeln und ein passgenaues Storytelling sind zukünftige Erfolge der Sozialdemokraten bislang kaum denkbar") wenigstens noch einige Sätze, die sich tatsächlich mit den Inhalten der SPD bzw. – in der Diktion dieser Industrie – ihrem Markenkern beschäftigen. Detmar Karpinski von der Agentur KNSK, die zweimal Wahlkampf für die SPD gemacht hat, gibt zu bedenken: "Das Produkt ist entscheidend, Werbung kann nur Katalysator sein. Und beim Produkt hat die SPD momentan ein Problem, das für jeden sichtbar ist und das man mit Werbung nur schwer kaschieren kann". Bei Springer & Jacoby ist man dagegen weit entfernt davon, sich über solche Nebensächlichkeiten wie die Eigenschaften des zu vermarktenden Produkts irgendwelche Gedanken zu machen. Zu Inhaltlichem verlautet Öztürk nichts. Null. Nada. Stattdessen muß ein "charismatischer Führer" her, seit 1933 klares Erfolgsrezept in diesem Land. Also eher Steinmeier statt Beck, am besten aber jemand wie Obama – oder wie Steve Jobs, "ein sehr charismatischer Manager, der die Marke Apple lebt und sie emotional auflädt". Und wofür würde der dann wohl stehen, so in der SPD? Scheißegal, denn "die Partei muss einen Kanzlerkandidaten präsentieren, der glaubhaft vermittelt: Wir wollen gewinnen". Und das war's dann inhaltlich. Lernen von Amerika, wunderbar.
Mit "Produktinformation" hat moderne Werbung schon lange nichts mehr zu tun. Man kann aus der Werbung allerhand erfahren, wenn man nicht schnell genug umblättert respektive aufs Klo verschwindet, nur nichts über das beworbene Produkt. Ob das Getränk wirklich gut schmeckt, wie lange das elektronische Gerät hält, ob die Versicherung wirklich alles abdeckt – für Werbezwecke völlig irrelevant, sofern das Markenimage stimmt. Fröhliche Menschen beim Feiern für die Getränkewerbung, Klaviermusik und beruhigende Männerstimme für die Versicherungsreklame, der tausendste austauschbare Slogan dazu, und der Konsument wird's schon kaufen. Emotionen! Bloß keine Argumente! Hier liegt nicht der unwichtigste Grund dafür, daß die heutige Wirtschaft so pervers funktioniert, wie sie funktioniert. Rationale Kaufentscheidungen? Mündiger Konsument? Lieber wird in die Verblödung der Verbraucher investiert. Und das Ganze nennt sich dann "Kommunikation".
Nicht unbedingt ein Zufall, daß exakt
Springer & Jacoby in diesem Bereich neue Maßstäbe in punkto Ekligkeit gesetzt hat. Vermutlich ein Teil der Unternehmensphilosophie.
Bonaqua ist ein sogenanntes Tafelwasser, sprich: mit Kohlensäure versetztes Leitungswasser. In der Herstellung mit das Billigste, was man überhaupt produzieren kann. Nun bedeutet aber "Markenprodukt" schon sehr lange nicht mehr, daß man es mit einem qualitativ hochwertigen
Produkt zu tun hat, sondern mit einer kostenintensiv aufgebauten
Marke. Das Geld, das man bei der Produktion spart, fließt in die Werbung. Der Nutzen, den der Verbraucher aus dem Konsum ziehen soll, liegt nicht etwa in den Eigenschaften des Produkts begründet – wo kämen wir denn da hin! –, sondern in dem
Gefühl, etwas Tolles zu konsumieren. Emotionen, wir erinnern uns? Im Fall
Bonaqua heißt das: Wir brauchen einen finanzkräftigen Konzern, dem die Marke gehört: Coca-Cola, kein Problem – und eine Agentur wie
Springer & Jacoby, der es vor nichts graust: Müller-Milch, Springers
Welt, DaimlerChrysler, beste Referenzen. Und was kommt dabei als einziges armseliges Argument, Verzeihung, als
unique selling proposition raus,
Bonaqua zu trinken? Daß Johannes B. Kerner – von allen Menschen Johannes B. Kerner! – es auch trinkt. Ich korrigiere mich: Daß Johannes B. Kerner für viel Geld bereit ist, zu behaupten, er würde es auch trinken. Fertig ist die Marke. Oder
mit den Worten von Oliver Schwall (keine Witze über Namen) von
Springer & Jacoby: "In der Werbung spricht man dann von
Opinion-Leadern, wenn die es schon tun, dann werde ich es auch tun. Das ist sicherlich einer der großen Effekte. Man kauft sich halt damit Glaubwürdigkeit und Aufmerksamkeit." Soviel zur Frage, wieviel "Glaubwürdigkeit" in der Werbebranche wert ist. Ein Gebrauchtwagenhändler verdient nur weniger. Und er hat mehr Anstand.
Das Schlimme: Es funktioniert. Es rechnet sich mehr, den letzten Müll aufwendig zu vermarkten, als ein brauchbares Produkt herzustellen. Die Implikationen für die Wirtschaft sind verheerend genug. Für die Politik heißt das: Wir können das bißchen Demokratie, das man uns zugesteht, komplett vergessen, wenn sich die Methode Kerner endgültig durchgesetzt hat. Und wir sind schon auf dem besten Weg dorthin. Personen statt Programme, Emotionen statt Aussagen, das Stimmvieh so simpel wie möglich ansprechen – genau das, was man für ein funktionierendes demokratisches System braucht. Das heißt, sofern man will, daß es so funktioniert wie in Amerika. Dazu braucht man nur eine gehörige Portion Zynismus. Und den haben Öztürk und Kollegen im Überfluß. Wir können es schaffen. Ihr werdet es schaffen.
Abgelegt unter: Agitprop, Schmerzen
12.07.2008, 18:14 • Link • Kommentieren