Wundern mußte ich mich über die jüngst entdeckte und eigentlich recht lesenswerte
Zwiebelfisch-Kolumne. Der junge Bastian Sick wettert hier unter der Überschrift "Das Elend mit dem Binde-Strich" gegen die Tendenz, auch kürzeste Wortzusammensetzungen (Seh-Test) durch einen Binde- oder vielmehr Trennungsstrich auseinanderzureißen. Eine im Kern berechtigte Forderung, und dennoch:
Ach, würde doch mein Gram gewogen, legte man auf die Waage auch mein Leid! Gibt es keine Hilfe mehr für mich, ist mir jede Rettung entschwunden (Hiobs Klage)? Welch unsägliches Leid, welch Schmerz und Mühsal kommt über dieses Land nicht wegen zu vieler Bindestriche, sondern gerade wegen deren Fehlen! Seit ich mich in den
efc news 34 gezwungen sah, Marketingsprachmonstrositäten wie "Käs Spätzle" oder HUUARGH "Nudel Schmankerl" zu beweinen, ist die Lage nicht besser geworden, ganz im Gegenteil.
Begonnen hat die Misere, wenn ich das richtig sehe, mit dem allmählichen Verschwinden des Bindestriches aus englisch-deutschen Wortzusammensetzungen, gerne zu beobachten im Getippe enthemmter Computer-Nerds. Merkt euch, o Technodeppen: Auch wenn es zehnmal "Internet Explorer" heißt, bleibt "Internet Explorer Dateien" doch eine Qual für des Lesers Auge! Mittlerweile sind alle Schranken gefallen, und auch rein doitsche Komposita fristen ihr ärmliches irdisches Dasein bindestrichlos: Seit McDonald's zu einer Verkaufsstelle für Bionahrung mutiert ist, lebt hier der orthographisch wie geschmacklich nicht zu beanstandende "Grilled Chicken Caprese" in Eintracht mit der "Frucht Tüte" und dem "Garten Salat". Und jetzt alle zusammen: GARTEN SALAT.
Merkste was? Das Problem betrifft nicht nur die Schreibung, sondern auch die Aussprache: Bei "Feinkost Müller" geht die Stimme nach oben, und die Betonung liegt auf dem zweiten Wort; bei "Gartensalat" ist es umgekehrt. Und was machen wir jetzt mit dem "Garten Salat"?
Hinzu kommt die Gefahr von Sinnentstellungen. Seit längerem bereitet mir etwa die Heidelberger Haltestelle "Adenauer Platz" intellektuelle Pein: Ist sie nach dem Fleckchen Adenau benannt, wie die Schreibung nahelegt, oder nach dem Bundeskanzler, der all die Nazis in führenden Positionen duldete? (Auflösung erhältlich bei der Heidelberger Straßen- und Bergbahn).
Selbst meine geliebte Frankfurter Rundschau verliert zunehmend ihren sprachlichen Anstand. Wer beispielsweise etwas über die "National Geographic World"-CD für Kinder erfahren möchte ("Entdecke die Welt ... and get into English"), kann in der FR vom 4.9.04 vernehmen: "Am Schluss" (gemeint ist Schluß) "gibt es noch eine kleine Rap-Zugabe der aufgedrehten Moderatoren Ratte". Klingt lyrisch, ist aber blutiger Ernst: Es handelt sich nicht um eine Ratte der aufgedrehten Moderatoren, sondern um eine moderierende Ratte. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert.
Fassen wir zusammen: "Seh-Test" muß nicht sein, aber seien wir tolerant gegenüber aussterbenden Arten. Seid lieb zu den Bindestrichen, solange es sie noch gibt!