herzlichen Dank für
Ihre Zuschrift. Als
Ehrenmitglied von DIE PARTEI habe ich gewisse Sympathien für Ihre Ankündigung, Ihre Stimme an diese Gruppierung zu vergeben, deren entlarvender Wahlkampf mich wieder sehr erheitert hat. Da eine Stimme für DIE PARTEI am Ende aber eine verschenkte Stimme sein wird, werde ich auch um Ihre Stimme kämpfen. Sie sind ja nicht der einzige, der Fragen bezüglich unserer linken Kritik an den Afghanistan-Abschiebungen hat.
Erst einmal vorweg: Ich mache mir keineswegs mehr Sorgen um diese acht Afghanen als um ihre Opfer in Deutschland. Ich war selbst von sexualisierter Gewalt betroffen und weiß also wovon ich spreche. Gewaltkriminelle einschließlich Vergewaltiger gehören für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen – doch sie müssen hier, wo sie ihre Verbrechen begangen haben, ihre ganze Strafe verbüßen. Und diese Strafe sollte – wie es das Strafgesetzbuch vorsieht – aus einer Haft- oder Geldstrafe bestehen. Eine Abschiebung in den Krieg und Bürgerkrieg ist dagegen nicht als Strafe für ein in Deutschland begangenes Verbrechen vorgesehen. Zudem verbietet der Rechtsstaat, dass jemand für ein Verbrechen mehrfach bestraft wird. Doch genau das geschieht, wenn ein Straftäter erst hier zur Abbüßung seiner Strafe inhaftiert wird und dann auch noch in ein Kriegsland abgeschoben wird.
Zur Rechtsstaatlichkeit gehört in diesem Zusammenhang auch die Einhaltung internationaler völkerrechtlicher Abkommen wie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, die eine Abschiebung in Länder, in denen Geflüchteten erhebliche Gefahren oder unmenschliche Behandlung und Folter drohen, ausnahmslos verbieten.
Sie schreiben: "Ich bin froh, dass wenigstens diese acht Männer wieder in ihrem Heimatland leben und nicht mehr in meiner Nähe, nicht mehr in der Nähe meiner Familie oder meiner Freundin." Eine solche "Aus-den-Augen-Aus-dem-Sinn"-Haltung kann ich als Internationalistin nicht teilen. Ich möchte diese Männer auch nicht auf Frauen und Kinder in Afghanistan losgelassen wissen – also in einem Land, in dem die patriarchale Kultur viel tiefer als bei uns verwurzelt ist und ihnen vermutlich gar nicht Einhalt geboten werden kann. In Deutschland gäbe es dagegen die Möglichkeit, gefährliche Sexualstraftäter zu inhaftieren und zu therapieren.
Ich möchte an dieser Stelle auf das Beispiel Tunesien verweisen. Dort kam es in der Hauptstadt Tunis sogar schon zu Demonstrationen gegen die Rückschiebung von Islamisten, die sich häufig erst in Europa islamistisch radikalisiert hatten, aber so zu einer Gefahr für die tunesische Bevölkerung wurden.
Sie erwähnen 4100 Afghanen, die seit Anfang 2016 vermeintlich "freiwillig" nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Diese "Freiwilligkeit" möchte ich doch gerne in Anführungszeichen setzen, da es sich hier in der Regel um Flüchtlinge handelt, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Während sich die reale Sicherheitslage in Afghanistan auch nach Ansicht der UN-Mission und des Pentagon weiter verschlechtert hat und zunehmend Zivilisten zu Schaden kommen, ist die Anerkennungsquote von afghanischen Geflüchteten in Deutschland aufgrund politischer Vorgaben aus der Bundesregierung mit dem falschen Hinweis auf angeblich sichere Gebiete in Afghanistan rapide gesunden. Tatsächlich konnte die Bundesregierung auf Nachfragen diese "sicheren Gebiete" bis heute nicht konkretisieren. Mit einer "freiwilligen" Ausreise versuchen abgelehnte Flüchtlinge häufig, einem mit einer zwangsweisen Abschiebung verbundenen dauerhaften Einreiseverbot in die EU zuvorzukommen, um dann einen neuen Anlauf zu nehmen, doch noch ein Aufenthaltsrecht zu erlangen.
Ohne die Taten der jetzt abgeschobenen Männer im Geringsten rechtfertigen zu wollen, möchte ich an dieser Stelle auch einmal anmerken, dass eine wirkliche Integrationspolitik von Anfang an in vielen Fällen ein Abgleiten von Flüchtlingen in die Kriminalität verhindern kann. Wer von Anfang an die Chance hat, unsere Sprache zu lernen, sie eine Wohnung außerhalb eines Lages zu suchen und für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten, wird sich viel schneller integrieren, als derjenige, der weitgehend rechtlos und in der BAMF-Bürokratie zermürbt monate- und jahrelang auf die Bearbeitung seines Asylantrags warten muss, der nicht arbeiten darf und dem kein Zugang zu Integrationskursen oder anderen Eingliederungsmaßnahmen gewährt wird.
Es ist eine alte Taktik der Regierenden, Gesetzes- oder Handlungsverschärfungen und Repressalien zuerst einmal mit dem Vorgehen gegen Gruppierungen zu rechtfertigen, die gesellschaftlich allgemein abgelehnt werden und über keine Lobby verfügen. Das können Neonazis oder Salafisten sein oder Sexualstraftäter. Doch ganz schnell werden dann so durchgesetzte Gesetze auch gegen andere gesellschaftliche Gruppierungen angewandt. Es ist von daher wichtig, sich hier nicht von den eigenen Emotionen mitreißen zu lassen, sondern sich einen bürgerrechtlichen Blick zu bewahren.
Im vorliegenden Fall geht es der Bundesregierung darum, mit den Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan zuerst einmal das Mögliche auszutesten. Als nächstes sollen auch Flüchtlinge abgeschoben werden, die nicht an der Feststellung ihrer Identität mitwirken. D.h. solche Flüchtlinge, die sich nicht aktiv darum bemühen, von der diplomatischen Vertretung ihres Herkunftsstaates Papiere für eine Abschiebung ausgestellt zu bekommen.
Wenn so generelle Akzeptanz für Abschiebungen in ein Kriegsland geschaffen wurde, dann sollen auch nicht-kriminelle Afghanen einschließlich ganzer Familien zurückgeschickt werden. Diese Absicht hat die Bundesregierung ja offen benannt. Es geht hier also nicht darum, sich mit Gewaltkriminellen gemein zu machen, sondern den Anfängen zu wehren und eine weitere Demontage von Flüchtlingsrechten zu verhindern.
Auch wenn ich Sie nicht überzeugt haben sollte, möchte ich abschließend doch an Ihr Verantwortungsbewusstsein appellieren. Ein Einzug der AfD in den Bundestag scheint so gut wie sicher zu sein. Erstmals werden wir es dann mit einer Fraktion rechts von den Unionsparteien zu tun haben, in deren Reihen sich auch regelrechte Nazis tummeln. Damit droht ein weiterer Rechtsruck auch der Bundespolitik insgesamt mit einer weiteren Demontage sozialer und demokratischer Rechte. In dieser Situation brauchen wir mehr denn je eine starke LINKE als Gegengewicht. Dafür ist jede Stimme notwendig, auch die Ihre, selbst wenn Sie nicht hundertprozentig mit uns übereinstimmen und sich über manche Position auch ordentlich geärgert haben. Ich hoffe, Sie überdenken Ihre Wahlentscheidung also noch einmal und vergeuden Ihre Stimme nicht für eine Satire-Partei.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulla Jelpke
Abgelegt unter: Agitprop
21.09.2017, 13:50 • Link • Kommentieren