Nach der Ausstrahlung der ersten Folge ist im eher säkularen Teil dieses Landes das Erstaunen groß, was für einen riesigen Aufregungs- und Medienzirkus so ein kindischer, harmloser Quatsch auslösen konnte. Nur Hardcore-Christen mögen nicht von ihrer Empörung lassen. Mein Mitgefühl gilt hier insbesondere den Schülern des Call-In-Lehrers aus der gestrigen Diskussionsrunde.
Das allgemeine Erstaunen übersieht jedoch, daß die Aufregung vor allem von der viel lustigeren Vorab-Werbung mit einem fröhlichen, entkreuzigten Christus ausgegangen war – kein Wunder, die wenigsten hatten ja tatsächlich Ausschnitte des eigentlichen Programms zu sehen bekommen oder sehen wollen. Man darf vermuten, daß die (bald zurückgezogene) Werbung bewußt so provokant angelegt war, um durch Reiten auf der Mohammed-Karikaturen-Welle einem eher harmlosen Produkt dennoch volle Medienaufmerksamkeit zu bescheren.
Der grob fahrlässige Fehler der konservativen Eiferer, diesem Trick auf den Leim zu gehen und die Werbung nicht von der Serie zu trennen, wiederholt sich jetzt bei jenen, die sich fragen, was zur .. hm ... Hölle eigentlich los war.
Positive Überraschung Nummer eins: Nachdem das Klügste, was ich bislang zum Thema gelesen habe, in der
taz zu finden war, nahm es bei der Diskussionsrunde mangels anderer Medienjournalisten ausgerechnet der Mann von der FAZ auf sich, dieses Marketingkalkül von MTV anzusprechen – und setzte noch eins drauf, indem er darauf hinwies, daß die Entscheidung über eine Fortsetzung der Serie wohl weniger von den Zuschauerreaktionen als von der Meinung der Werbekunden abhängen dürfte.
Daß bei allen Arten von Werbung gerne die Kultur unters Rad kommt, ist nichts Neues. Wer den Martin Luther King-Spruch "I have a dream" oder John Lennons "Imagine" dazu benutzt, um überflüssige Telekommunikationsdienstleistungen oder ähnlichen, im Zweifel überteuerten Schwachsinn unters Zielgruppenvolk zu prügeln, macht vor religiösen Gefühlen keinen Halt – im Gegenteil: Aufmerksamkeit ist hier sicher, und um die geht es ja, nicht etwa um etwaige Eigenschaften des beworbenen Produkts. Auch der Karikaturenstreit wurde seinerzeit letztlich durch einen Marketinggag ausgelöst. Das ist auch für Atheisten und Agnostiker traurig.
Positive Überraschung Nummer zwei war daher, daß MTV komplett darauf verzichtete, während der quälend langen anderthalb Stunden Diskussion plus Serie Werbung auszustrahlen. Sogar die Call-In-Nummer war keine hochpreisige Hotline (worauf ich gewettet hätte), sondern ein stinknormaler Berliner Festnetzanschluß. Über das Kalkül, das dahinter ebenfalls stecken mag, denken wir jetzt erstmal nicht weiter nach, wir sind nämlich noch ganz gerührt von der positiven Überraschung Nummer drei: Henry Gründler, Moderator der unterirdisch schlechten "Freitag Nacht News", ist eigentlich ein recht intelligenter Knabe, der mit die denkwürdigsten Diskussionsbeiträge liefern konnte. Wer hätte das gedacht!
Insgesamt also mehr als nur ein Hauch verkehrter Welt gestern – bis hin zu dem Punkt, als Markus Kavka ankündigte, MTV würde uns nun in einem kurzen Filmchen zusammenfassen, wie "Religion in der Kunst dargestellt wird". Wenigstens das hat, ganz erwartungsgemäß, nicht geklappt.
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04.05.2006, 11:54 • Link • Kommentieren