Nur wenige große Ideen der Menschheit wurden neben Preßlufthämmern oder startenden Düsenjets geboren. Stille ist dem Denken förderlich, wie auch ein oberflächlicher Blick in die Gesichter jener Jugendlichen beweist, die man mit Ghettoblaster-Handys in öffentlichen Verkehrsmitteln antrifft: Nur selten kommt an diesen Gehirnen ein Gedanke vorbei. Verzweifelt wünscht sich der unfreiwillig beschallte Fahrgast eine Art Notfall-Pädagogik herbei, die zwar an der Vermittlung solch altmodischer Vorstellungen wie "Rücksicht" oder dem Kategorischen Imperativ scheitern dürfte, aber doch zumindest die Aufmerksamkeitsspanne der jungen Mitbürger soweit verlängern möge, daß sie sich einen Titel in voller Länge anhören können, anstatt jede halbe Minute zum nächsten, noch unerträglicheren Stück weiterzuschalten. Vergeblich.
"Müssen die Deutschen das Töten lernen?", fragt sich der SPIEGEL. Die Deutschen? Das Töten lernen? Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre man sich ziemlich einig gewesen, daß sie wenigstens das können. Man sieht, wie schnell manche nationale Tugenden in Vergessenheit geraten können. Ebenso scheint das Meckern, hierzulande unlängst noch in Perfektion betrieben, aus der Mode gekommen zu sein: je lauter die Klänge aus den Handys, desto stiller die Duldung der gequälten Mitreisenden. Wo sind die nörgelnden Rentner, wenn man sie mal braucht, wo der "Führer", unter dem es "das nicht gegeben hätte"? Schaffner und Trambahnfahrer geben sich – obgleich fein uniformiert – ebenfalls tolerant: auch das eine Neuerung in diesem Land. Soll man etwa selber ran? Mit gerade mal dreißig Jahren und antiautoritär schlagendem Herz?
Bei näherer Hinsicht zeigt sich allerdings, daß das Meckern keineswegs verschwunden ist, es hat nur den Fokus gewechselt. Zielscheibe des allgemeinen Übelnehmens sind nun die Raucher; eine Haltung, die sich auf erschreckende Weise durch alle Altersgruppen zieht und zunehmend institutionalisiert wird. Ungern möchte man sich vorstellen, welches Ideal von Volksgesundheit hinter dem aktuellen Nichtraucherkreuzzug steckt. Ist eine Gesellschaft aus kalorienzählenden Fitness-Zombies, denen jeglicher Genuß als Laster gilt, wirklich erstrebenswert? Schon keimen
Hoffnungen, ein Rauchverbot könnte auch den Alkoholkonsum senken. Der verschwörungstheoretisch informierte Zeitgenosse ahnt indes ganz andere Zusammenhänge. Steigert nicht Nikotin das Denkvermögen? Gibt es einen geheimen Plan, durch Tabakabstinenz in Kombination mit Handy-Beschallung unsere Gehirne zu erweichen? Werden deshalb Lärmnörgler heimlich durch Rauchnörgler ersetzt?
Eine schlechte Wahl! Wenig ist unangenehmer als Menschen, die beim bloßen Anblick einer Zigarette in demonstratives Wedeln verfallen, Menschen, die andere aus der Kneipe vor die Tür schicken möchten, Menschen, die mitleidig Worte wie "paffen", "qualmen" und "Glimmstengel" (jetzt noch dümmer: "Glimmstängel") verwenden. Gibt es ein Zentrum des Bösen, so ist es wohl im Deutschen Krebsforschungszentrum hier in Heidelberg zu suchen. "Deutschland vor der Entscheidung: Rauchfreie Gastronomie – ja oder nein?" lautet der Titel der
aktuellen Veranstaltung des DKFZ. Den angekündigten Themen nach zu schließen, dürften sich die "Nein"-Stimmen in Grenzen halten: Die Drogenbeauftragte im Bundesministerium für Gesundheit spricht über "Schutz der Bevölkerung vor Passivrauchen – wo steht Deutschland?", ferner gibt es die Vorträge "Der irische Weg zur rauchfreien Gastronomie – eine Erfolgsgeschichte" und "Auch kleinste Mengen sind zu viel – Belastungen der deutschen Bevölkerung durch Passivrauchen". Die Blockwarte sind auf dem Vormarsch:
Zwei Drittel der Bevölkerung wünschen sich angeblich rauchfreie Gaststätten. In Bälde entscheidet der Bundestag. Ich habe Angst.
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29.11.2006, 23:46 • Link • Kommentieren