Auf Stefan Niggemeiers
altem Blog gab es einen wunderbaren Kommentator, der sich auf Antisemitismus-Vorwürfe spezialisiert hatte. Beispielsweise so (ich paraphrasiere):
X: Es ist eine Sauerei, daß die Reichen das ganze Geld haben, das den Armen fehlt.
L: Aha! Jeder weiß doch, daß die Juden das ganze Geld haben. Deswegen ist es antisemitisch, was du sagst. Geh weg!
Nach meinem Gefühl wäre zwar eher die Vorstellung, die Juden hätten das ganze Geld (genauer: Wer von finanzkapitalistischer Ausbeutung spreche, meine damit ja wohl zwangsläufig eine jüdische Veranstaltung), antisemitisch und nicht die Forderung nach einer gerechteren Vermögensverteilung, aber was weiß ich schon. Die Position von X nennt man übrigens auch
strukturellen Antisemitismus. Juden sind dazu gar keine mehr nötig. Moderne Zeiten.
Wenn
Schlagwörter den Diskurs ersetzen, ist das schon übel genug, und daß diese Haltung langsam Besitz von meiner
eigenen Seite des politischen Spektrums nimmt, macht's nicht besser, im Gegenteil. Es kommt aber noch etwas Zweites hinzu:
"Die Frage danach, wie sich gesellschaftlicher Wohlstand gerecht verteilen lässt, war ja seit jeher der Wesenskern linker Politik. Und der ist unter jungen Linken heute fast gänzlich in den Hintergrund getreten. Stattdessen dominieren kulturelle und identitätspolitische Themen, über die sich junges Linkssein heute definiert. Das zentrale progressive Anliegen ist mittlerweile die unbedingte Gleichstellung von Minderheiten" (
Wolfgang Merkel).
Da scheint mir was dran zu sein. Und ja, ich bin da oldschool. Müßte ich wählen, wäre mir die Expropriation der Expropriateure immer noch wichtiger als das Gender-Sternchen. Vielleicht macht mich das heutzutage schon zu einem Nazi, das weiß man leider nicht mehr so genau. Was ich aber weiß: Dort, wo die Lifestyle-Linke ihre Wurzeln nicht nur vergißt, sondern verrät, mach ich nicht mehr mit.
"Man erließ in Oberlin Richtlinien – sie wurden inzwischen zurückgezogen –, nach denen auch soziale Privilegierungen, auf gut Deutsch: Klassenverhältnisse, zum Tabu wurden, weil sich jemand von der allzu lebhaften Darstellung an die eigene Unterprivilegierung erinnert und damit verletzt fühlen könnte. Dem Lehrkörper wurde empfohlen, solche Literatur nicht mehr zu unterrichten und, wenn es sich nun einmal nicht vermeiden lasse, die Lektüre den Studenten freizustellen. Es soll nicht mehr anders werden und besser, sondern das Schlechte soll nicht einmal mehr ausgesprochen werden, auf dass niemand verstört werde" (Die "
FAZ" über das amerikanische Hochschulwesen).
Inwieweit es – Gott bewahre – verletzend sein kann, sich mit etwas auseinanderzusetzen, ist nochmal eine ganz andere Frage. Aber mühsam kann es definitiv sein, Gedanken nachzuvollziehen, Argumentationen zu rekonstruieren, sich mit den Mitteln der Logik daran abzuarbeiten und sie begrifflich sauber zu durchdenken. Hat man trotzdem als Linker früher so gemacht (Habermas, anyone?), weil es die Anstrengung häufig wert war.
Kommentator/in "LLLU" hat es mit dieser Herangehensweise auf dem Niggemeier-Projekt "Übermedien" versucht, und zwar (a) im Jahr 2016 und (b) in zwei Diskussionen zum Thema "Rassismus". Man ahnt bereits: Großer Fehler.
1. Vorgeplänkel
Anlaß: Guido Cantz
schminkt sich das Gesicht, um in "Verstehen Sie Spaß" einen schwarzen Südafrikaner darzustellen. In Kombination mit allerlei – bewußten oder unbewußten – Klischees und Stereotypierungen, einem lustigen Akzent (vgl. dazu auch Boris Rosenkranz bei Minute 0:34, aber vgl. bloß nicht zu sehr!) und dicken Lippen eine tatsächlich ziemlich rassistische Aktion, von der man sich zu Recht angepißt fühlen darf, nicht nur als Schwarzer. Aber die Kombination ist gar nicht so wichtig, weil: "Blackfacing" (Schlagworte, wir erinnern uns) alleine geht bereits nicht, und "daß man das nicht mehr macht" (Rosenkranz), müßte u.a. auch Oliver Pocher wissen, wenn er versucht, Jerome Boateng optisch näher zu kommen.
LLLU reicht das nicht. Er/sie
möchte wissen, was eigentlich
genau mit "Blackfacing" gemeint ist. Darum geht es ja zentral in der Diskussion, eine ordentliche Begriffsklärung wäre mithin ausgesprochen sinnvoll. Sollte man meinen.
Erste Antwort (wenn man das so nennen will): "Der Begriff 'Blackfacing' ist klar definiert. Und bezieht sich nicht auf den technischen Vorgang des Gesicht anmalens. Die einzigen Zweifel daran werden von Leuten gestreut, die sich damit nicht auseinandersetzen (wollen). Warum muss man jedesmal Dinge neu definieren oder erklren, nur weil es manche nicht kapieren, dass ein Weißer, der es für lustig hält, sich schwarz anzumalen, dicke Lippen anzukleben, mit einem lustigen (indischen?) Akzent zu reden um damit Leute zu erschrecken, auf mehreren Ebenen rassistisch konnotiert ist".
Trotz
erneuter Bitte um Begriffsklärung und einer
weiteren Reaktion: Der Begriff bleibt ohne Definition.
Neuer Anlauf, zweiter Artikel zum selben Thema. LLLU
gibt nicht auf: "Ganz generell würde mich aber (immer noch) interessieren, wie 'Blackfacing' eigentlich definiert wird. Gilt jeder Akt, bei dem ein Weißer sein Gesicht dunkel färbt, um in die Rolle eines Schwarzen hineinzuschlüpfen, als 'Blackfacing'? Oder ist gefordert, dass die entsprechende Darbietung dazu dient, sich über Schwarze lustig zu machen (oder dass sie zumindest unschöne Klischees enthält)?"
Reaktion: "Ich habe fast den Eindruck, dass Sie wissen was blackfacing ist und ihre Fragetechnik wirkt eher subversiv". Es wird langsam kafkaesk.
LLLU
hört den Warnschuß nicht: "Noch immer hat mir niemand gesagt (sagen können?), welche der beiden Ansätze, die ich in Kommentar 14 und zuvor schon in einer anderen Diskussion erörtert habe, denn nun die 'offizielle' Definition bildet (wenn es eine solche denn gibt). Auch sehe ich nicht, was an dem Versuch eine begriffliche Klärung (die von einer inhaltlichen Wertung ja unabhängig ist) 'subversiv' sein sollte oder auch nur könnte".
2. Reden wir trotzdem drüber.
LLLU
wird beschieden: "Nach einer offiziellen, allgemeingültige übergreifende Definition werden Sie lange suchen müssen. Blackfacing ist aber ein Phänomen, was nicht exklusiv den USA zuzuschreiben ist ohne sich auf Details einlassen zu müssen. (...) Wir leben im JAhr 2016, ich denke es ist Zeit diese rassistische Praxis zu beenden. (...) Ich denke das Thema ist mit etwas gesundem Menschenverstand ganz einfach zu verstehen".
Komisch, ich dachte, die Berufung auf den "gesunden Menschenverstand" sei ein untrügliches Zeichen für AfD-/Pegida-Sympathien? Egal.
Weil es eh schon menschelt, versucht LLLU es
humanistisch: "Nur bin ich der Meinung, dass es zumindest auf lange Sicht als unproblematisch gelten sollte, wenn beispielsweise ein schwarzer Schauspieler sich weiß schminkt oder umgekehrt, um eine Rolle zu bekleiden, die mit Rassismus nichts zu tun hat. (Oder wenn ein Sternsinger sich das Gesicht dunkel färbt.) Es sollte als so harmlos gelten, wie wenn ein Schauspieler sich einen künstlichen Bart anklebt oder eine geeignete Perücke aufzieht. Vielleicht ist die Zeit nicht reif. Das mag man so sehen. Aber es muss zumindest das Fernziel sein. Wir müssen irgendwann einmal dahin kommen, dass die Hautfarbe eines Menschen als so unwichtig angesehen wird wie ein Schnauzbart oder die Haarfarbe. Dann wird sich auch ohnehin niemand schminken, um jemanden mit anderer Hautfarbe zu verspotten, so wie sich ja auch kein Schauspieler eine Perücke aufsetzt, um sich über Leute mit anderer Haarfarbe lustig zu machen".
Schön! Quasi carolin-emckesk! Nahezu bundespräsidial! Wird aber auch nichts helfen, wie wir bald sehen werden. Die Bitte um Begriffsklärung bleibt derweil unerwidert,
denn: "Wer halbwegs in der Welt zuhause ist, der weiß was Blackfacing ist".
3. Kampf gegen Windmühlen
LLLU wird langsam
verzweifelt:
Leute, ganz unabhängig von dem (auch nach meiner Meinung) missglückten Cantz-Auftritt: Lasst mich doch nicht dumm sterben. Ich höre ständig das Wort 'Blackfacing' und weiß (trotz Wikipedia) immer noch nicht, was das ist. Das mag ein Ausweis von Unwissenheit sein, aber es könnte mir doch endlich einer sagen. Mir geht es dabei nicht um eine wissenschaftliche Erörterung, sondern nur um eine ganz simple, aber grundlegende begriffliche Klärung:
1. Ist Blackfacing eine Veranstaltung, in der ein Weißer sich schwarz schminkt, um sich über Schwarze lustig zu machen (oder wo er zumindest rassistische Klischees bedient)?
In diesem Fall würde sich der Rassismus des 'Blackacing' bereits 'ex definitione' ergeben. Die Aussage, dass Blackfacing rassistisch sei, wäre – unter Einbeziehung üblicher Rassismus-Definitionen – analytisch oder tautologisch wahr. (So wie beispielsweise auch der Satz, dass alle Junggesellen unverheiratet sind, analytisch wahr ist.) Jede Diskussion um die Frage, ob Blackfacing stets rassistisch ist oder nicht, wäre somit a priori (!) unsinnig, weil die Antwort schon zwigend aus der Definition selbst folgen würde.
2. Oder fällt schlichtweg jede Aktion unter 'Blackfacing', bei der ein Weißer in die Rolle eines Schwarzen schlüpft und dazu sein Gesicht dunkel färbt? (Man denke etwa an jene Sternsinger, die einen schwarzen König spielen; oder an einen Schauspiele, der den Othello spielt, ohne dabei karikierend aufzutreten.)
Im Sinne der zweiten Definition wäre das 'Blackfacing' zumindest noch nicht 'ex definitione' rassistisch. Die Aussage, dass 'Blackfacing' rassistisch sei, wäre dann also kein analytisch wahrer Satz, dessen Korrektheit unmittelbar und formal bereits aus der Definition selbst folgen würde. Ob 'Blackfacing' rassistisch ist oder nicht, ließe sich zumindest erst einmal diskutieren.
Es macht also erst mal einen bedeutenden Unterschied, wie man 'Blackfacing' definiert.
Es geht bei diese Frage wohlgemerkt überhaupt nicht um inhaltliche Gesichtspunkte. Ob es Umstände gibt, unter denen es legitim ist, wenn jemand in die Rolle einer Person mit anderer Hautfarbe schlüpft und sich das Gesicht schminkt, oder ob so eine Praxis generell unethisch ist, ist eine völlig andere Frage. Und diese Frage hat erst mal rein gar nichts damit zu tun, wie der Ausdruck 'Blackfacing' definiert wird. Ich bitte, dass man dies ausdrücklich beachten möge; meine Bitte um Begriffsklärung weist als solche also in keine 'inhaltliche' Richtung.
Wie schon in einer anderen Diskussion bemerkt, habe ich aber den Eindruck, dass manche Leute einen Äquivokations-Fehlschluss begehen, bei dem das Wort 'Blackfacing' innerhalb einer Argumentationsfigur in je unterschiedlicher Bedeutung definiert wird. Im Sinne von:
'1. Sich das Gesicht schwarz anzumalen, um in die Rolle eines Schwarzen zu schlüpfen, ist per definitionem Blackfacing. 2. Blackfacing ist per definitionem rassistisch. 3 Also ist es per definitionem rassistisch, wenn jemand sich das Gesicht färbt, um in die Rolle eines Schwarzen zu schlüpfen.' (...)
Ich habe jetzt mehrfach gehört, dass genau definiert und bestens bekannt sei, was 'Blackfacing' sei – und dass man wohl hinter dem Mond leben müsse, wenn man das nicht wisse (auch wenn es etwas vornehmer ausgedrückt wurde). Nur welche der beiden obigen Definitionen korrekt sein soll (oder soll es eine dritte sein?), das hat mir in zwei Diskussionen unter zwei Artikeln noch niemand erklären können. Anstatt mir wiederholt mitzuteilen, dass meine Frage dumm sei (was ja sein mag, dann entschuldige ich mich), könnte man sie ja einfach mal beantworten.
Oha! Jetzt auch noch Aussagenlogik? Da hilft nur die
ganz große Keule, ob's nun paßt oder nicht: "Mal als Vergleich: würdest Du einen Sketch spielen, in dem Du einen Juden als Pointe den Kopf in den Gasofen steckst, auch wenn der Sketch nichts mit Judenverfolgung zu tun hat? Wenn nein, warum nicht, obwohl Du den Juden doch ganz deutlich NICHT in eine Gaskammer steckst?"
"Maike" deutlich konzilianter (noch), aber auch nicht wirklich
befriedigend: "Vielleicht bekommen Sie keine zufriedenstellende Antwort, weil es keine eindeutige Antwort auf Ihre Frage gibt?"
Mag sein. Doch bevor man sich allseits darauf einigen kann, geschieht das Unerwartete: Nur viereinhalb Tage nach LLLUs erstem Post
verrät einer der Kommentatoren, die sich bislang gegen Blackfacing ausgesprochen haben (und zwar vehement), was er darunter versteht! "Meine aktuelle Position zum Blackfacing ist die von Ihnen beschriebene Variante 2".
4. Wird nun alles gut?
Natürlich nicht. Denn LLLU, statt sich auf dem Triumph auszuruhen, redet sich nun um Kopf und Kragen mit Aussagen
wie: "Dass man angesichts bestimmter Klischees oder einer bestimmten Vorgeschichte sensibel ist, halte ich schon für richtig. Außerdem haben Mehrheiten gewöhnlich eine 'bessere Position' als Minderheiten, und manche Gruppen leiden stärker Diskriminierung als andere. Dies kann dann beispielsweise berücksichtigt werden, indem man sich umso mehr gegen die Diskriminierung von Minderheiten engagiert. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Aufgrund solcher Diskrepanzen jedoch postulieren zu wollen, dass man gewissermaßen systematisch mit zweierlei Maß messen sollte, wäre m.E. aber weder berechtigt noch sinnvoll. Rassismus und Diskriminierung sind in jeder Form abzulehnen"
oder: "Dass man den Cantz-Auftritt kritisch sehen kann, da er offenbar an gängige Klischees erinnert (was dem Außenstehenden gar nicht auffallen muss), kann ich nachvollziehen. Das wäre für mich auch ein Beispiel, wo ich aus Gründen der Sensibilität Rücksicht nehmen würde, selbst wenn die Macher sich vielleicht gar nichts Böses gedacht haben. Was aber an Othello eine Verhöhnung sein soll, ist mir unbegreiflich, und bisher hat sich niemand die Mühe gemacht, diesen äußerst seltsam und kontraintuitiv anmutenden Vorwurf auch nur ansatzweise zu begründen".
Begründen? LLLU hat's immer noch nicht kapiert. Wer so drauf ist, kommt vermutlich auch auf die Idee, Rassismus-Vorwürfe gegen andere zu
hinterfragen ("Wenn man die übliche Rassismus-Definition her nimmt, nach der Rassismus etwas damit zu tun hat, die Leute in grundlegend unterschiedliche ideologische Kategorien mit je unterschiedlicher Wertigkeit einzuteilen: Welche Äußerungen von EWA und Herrn Hofstetter sind dann rassistisch?"). – LLLU, es ist 2016. Erstens: Wenn A B einen Rassisten nennt, dann ist B einer. Zweitens: Du mit deinen Definitionen immer! Sowas von unzeitgemäß! ... Moment, was war das eben? "Bei 'erweiterten' Rassismus-Definitionen – oder zumindest bei bestimmten erweiterten Rassismus-Definitionen – habe ich die Befürchtung, dass da dann jeder die Ein- und Ausschlusskriterien so wählt, wie es ihm passt. Am Ende verhält sich dann Wallraff rassistisch, aber nicht ein Schwarzer, der Weiße aufgrund ihrer Hautfarbe verachtet (wie manche das zu meinen scheinen). Durch eine solche Verfremdung der Begrifflichkeiten würde aber bereits die Basis für eine gemeinsame und Diskussion zerstört werden" ... Nee, sorry, es reicht. Hört auch keiner mehr zu.
5. Finale
Es kommt, wie es kommen muß.
LLLUs last stand:
Es soll hier nochmals darauf hingewiesen werden, dass der Begriff des Rassismus sowohl von allen mir bekannten Lexika, Menschenrechtserklärungen wie Menschenrechtsorganisationen wie auch vom deutschen Gesetz (Diskriminierungs-Schutz) universalistisch gebraucht wird. Wenn jemand aufgrund seiner 'Rasse' diskriminiert wird, dann ist dies nach allgemeinem Konsens also Rassismus. Das erscheint auch als unmittelbar evident und ist bereits terminologisch angelegt.
Ob dabei der Rassismus von Weißen gegen Schwarze häufiger vorkommt als umgekehrt, ob es eine Vorgeschichte des Rassismus gibt oder nicht, und ob ein 'Machtgefälle' zwischen den 'Rassen' herrscht oder nicht, ist somit (auch rechtlich) erst einmal irrelevant. Und das ist auch gut so. Selbst wenn ein Weißer weit seltener aufgrund seiner Hautfarbe Nachteile erlebt als ein Schwarzer, so kann er ja nicht unbedingt etwas für den Rassismus gegen Schwarze, oder für ein gesellschaftliches Machtgefüge (das ihm in diesem Moment auch nicht unbedingt viel nutzt). Aufgrund seiner Menschenwürde ist er genau so vor Rassismus zu schützen wie ein Schwarzer. Eine allgemeine, menschenrechtszentrierte Ethik, die von der konkreten 'Rasse' des Betroffenen bewusst abstrahiert und alle 'Rassen' gleich behandelt, wird anders auch gar nicht verfahren können.
Würde hingegen eine Diffamierung oder Benachteiligung aufgrund etwa der Hautfarbe nur noch dann als 'Rassismus' gelten, wenn die entsprechende Aktion gegen die Angehörigen ganz bestimmter 'Rassen' gerichtet ist, so käme dann eine Ethik zur Anwendung, die die jeweilige konkrete 'Rasse' des Opfers zum entscheidenden Kriterium erheben würde. Eine universalistische Ethik würde dann gegen eine 'rassenzentrierte' Ethik ersetzt werden. Dies scheint mir so offensichtlich zu sein, dass ich nicht sehe, wie man es ernsthaft abstreiten wollte.
Natürlich spielt es schon eine Rolle, dass Schwarze weit mehr unter Rassismus zu leiden hatten und haben als Weiße; es sollte beispielsweise dazu führen, dass man diesem Problem mehr Aufmerksamkeit zuwendet als dem Rassismus gegen Weiße. Insofern muss eine universalistische Ethik also auch keineswegs dazu führen, dass bestehende Unterschiede vernachlässigt werden. Sie 'relativiert' daher auch nichts. (Diesen Punkt möchte ich besonders betonen, da er von einigen offenbar übersehen wird.)
Rassismus aber so umzudefinieren, dass Menschen, die aufgrund ihrer Rasse ungerecht behandelt werden, auf einmal keine Opfer von Rassismus mehr sind, wäre sicher der falsche Weg.
Es wurde auch behauptet, dass der 'wissenschaftliche' Rassismus-Begriff ein Machtgefüge voraussetze, so dass es kein Rassismus sein könne, wenn hierzulande ein Weißen einzig und allein aufgrund seiner 'Rasse' diskriminiert wird. Ein solcher Rassimus-Begriff kommt aber nicht nur – sprachlich betrachtet – einer Contradictio in adiecto nahe; er wäre auch Ausdruck einer anti-universalistischen Moral, die sich an 'rassischen' Kollektiven anstatt am Individuum ausrichtet.
Bis auf Weiteres bezweifle ich, dass ein solcher offenkundig widersinniger Rassismus-Begriff Teil eines allgemeinen wissenschaftlichen Konsenses ist; vielmehr dürfte es sich hier um ein ideologisches Konstrukt handeln. Andernfalls wäre ein solches fragwürdige Konzept ohne Zweifel auch bereits in allgemeine enzyklopädische und legale Definitionen mit eingeflossen, oder auch in solche, die von anerkannten Menschenrechtsgruppen vorgebracht wurden. (...)
Zudem hat das amerikanische 'Blackfaing' höchstwahrscheinlich nichts mit den Sternsingern oder Jim Knopf zu tun – außer, dass in beiden Fällen überhaupt ein Weißer in eine schwarze Rolle schlüpft. Das ist aber dann doch ein sehr allgemeiner Bezug, der auch per se noch keinen Rassismus enthält.
Man müsste sonst etwa wie folgt argumentieren: 'Es gab (und gibt) Darstellungen, bei denen Weiße sich dunkel geschminkt haben und in die Rolle eines Schwarzen geschlüpft sind, um sich über Schwarze lustig zu machen. Das war (ist) rassistisch. Also ist es auch eine Darstllung, bei der ein Weißer sich das Gesicht dunkel schminkt, um in die Rolle eines Schwarzen zu schlüpfen, auch dann rassistisch, wenn es hierbei nicht im Entferntesten darum geht, sich über Schwarze lustig zu machen oder negative Klischees zu bedienen.'
Es tut mir leid, aber ich sehe nicht, wo die Logik dieses Schlusses liegen sollte, und wie sich aus der Prämisse die Konklusion ergeben könnte. Dieses Argument scheint mir vielmehr um ein relativ offensichtliches ein Pseudo-Argument zu sein. (...)
So wichtig die Überwindung des Rassismus ist: Strikte optische Grenzen zwischen den 'Rassen' zu fordern, ist da sicher nicht der richtige Weg. Wie schon gesagt muss es doch darum gehen, dass die Hautfarbe irgendwann als so unbedeutend und akzidentell angesehen wird wie etwa die Haarfarbe. Wenn ein Schauspieler aber die Haarfarbe und selbst das Geschlecht einer anderen Person annehmen darf, nicht jedoch ihre Hautfarbe, dann werden zumindest optische 'Rassen-Grenzen' gerade nicht überwunden; sie werden vielmehr festgeschrieben. Man wendet sich gegen den Rassismus, aber in einer reaktiven Weise, und indem man ihm Macht einräumt und sich ihm anpasst.
Und wieso es gegen den Rassismus helfen sollte, wenn zumindest kleinere Theater den anti-rassistischen Othello nicht mehr aufführen können (oder dabei die schwarze Hautfarbe der Hauptfigur ausblenden müssen), ist mir nicht ersichtlich.
Mir tut es fast etwas leid, dass ich hier so kritisch schreibe, zumal ich Ihr grundsätzliches Engagement sehr achte und alle negativen Erlebnisse, de Sie machen mussten, sehr bedauere und auch beschämend finde. Trotzdem möchte ich es im Sinne der intellektuellen Redlichkeit bei allem Respekt auch offen sagen, wenn bestimmte Positionen oder Argumente mir als schwach erscheinen.
Vielleicht ist meine Antwort auch unbewusst davon geprägt, dass ich nicht die negativen Vorerfahrungen habe, die viele Schwarze leider immer noch machen müssen. Vielleicht würde ich sonst andere denken. Das kann ich nicht ausschließen. Und ich halte es wie gesagt auch berechtigt, den Cantz-Auftritt zu kritisieren und finde einen Großteil der Kritik überzeugend. Aber ich bezweifle einfach, dass man einer guten Sache damit dient, dass man selbst die Sternsinger und den Othello noch in ein rassistisches Licht rückt.
Oder
ganz kurz zusammengefaßt von Kommentator "ETG": "@LLLU so viele Worte, so viel Ignoranz, Abwertung und Menschenverachtung."
Ich bin ja eher so gegen Gewalt. Aber wer da keinen Drang verspürt, "ETG" sämtliche 1100 Seiten "Theorie des kommunikativen Handelns" um die Ohren zu hauen, und zwar kräftig, dem ist nicht zu helfen.
Epilog
Maike zu "Mycroft": "Warum lesen Sie Inhalte in Aussagen hinein, die keiner tätigt? Und, ehrlich gesagt, nehmen Sie doch auch mal Stellung gegen die schlimmen Aussagen von Ewa und Lulu".
LLLU zu Maike: "Ich weiß nicht, ob Sie mit 'Lulu' mich meinen, aber wenn ja, dann darf ich meine 'schlimmen Aussagen' nochmals kurz zusammenfassen:
- Rassismus ist strikt abzulehnen.
- Schwarze leiden unter Rassismus ohne Zweifel weit mehr als Weiße, weshalb dieser Form des Rassismus auch eine besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte.
- Ungeachtet dessen sollte natürlich eine universalistische Moral gelten (wie jede Menschenrechtserklärung der Welt sie postuliert, soweit sie den Rassismus verurteilt!).
- Dass der Auftritt von Cantz Schwarze an negative Klischees erinnert (auch wenn das vermutlich nicht intendiert war) verstehe ich, weshalb ich diesen Auftritt kritisch sehe.
- Die Argumente dafür, dass aber auch die Sternsinger und Othello rassistisch sein sollen, überzeugen mich inhaltlich allerdings beim besten Willen nicht wirklich. Es tut mir leid, aber so ist es eben.
- Auch einige andere Ansichten und Argumente von Herrn Schwarzer überzeugen mich nicht.
- Ich respektiere Herrn Schwarzer, finde aber zumindest einige seiner Formulierungen nicht geschickt.
Welche dieser Aussagen ist nun die schlimmste unter all diesen schlimmen Meinungen? Welche ist 'illegitim'?
Nicht alles, was der eine für ein überzeugendes Argument hält, muss auch der andere für ein überzeugendes Argument halten. Den anderen deshalb moralisierend abzuwerten ist aber sicher keine geeignete Antwort. Das passiert aber ständig, und zwar vor allem von der einen Seite".
Antwort Maike: keine.
Abgelegt unter: Agitprop, Schmerzen
06.11.2016, 19:11 • Link • Kommentieren