Das ideale Haustier ist putzig, gibt Ruhe und versorgt sich selbst. Leider erfüllt weder unsere Clivie (kein Selbstversorger, zudem Einstufung als Haustier fraglich) noch das diverse Getier, das eine Wohnung mit Innenbalkon in Waldesnähe so mit sich bringt, sämtliche dieser Kriterien. Z.B. sind die Kellerasseln auf dem Balkon lobenswert ruhig, besorgen sich ihr Futter selbst und wollen auch nicht gegossen werden, haben aber starke Defizite, was die Putzigkeit betrifft. Seit einigen Jahren ist nun ein neues Haustier hinzugekommen, offenbar eine Art Fliege, obwohl sie wie eine Wespe aussieht: rötlich-braun, schlank, mit einer extremen Wespentaille und zwei verlängerten Beinen, die im Flug herabhängen. (Falls jemand den Namen dieses kleinen Tieres kennt: Ich wüßte ihn auch gern.)
Putzig an ihr ist vor allem die Emsigkeit, mit der sie jeden Sommer an völlig abstrusen Stellen der Wohnung kleine Kokons aus selbstangerührtem Lehm für ihre Brut errichtet. Das Problem: Bei der Bautätigkeit erzeugt sie – wie und womit auch immer – ein absolut nervtötendes Geräusch, ähnlich einer Kreissäge und fast genauso laut. Überdies scheint sie vergeßlich zu sein, so daß sie manchen unter großem Krach errichteten Kokon halbfertig zurückläßt und sich Konstruktionsarbeiten an einer völlig anderen Stelle zuwendet. Nach zahlreichen Versuchen, das Tier zu vertreiben oder anderweitig zu demotivieren, lasse ich sie mittlerweile gewähren, so sehr sie auch nervt. Denn egal was man tut, sie kommt immer wieder zurück, völlig fixiert auf die Aufzucht ihrer Brut. Etwas anderes hat sie nie gelernt, ihr einziger Lebenszweck ist die Fortpflanzung: Neue kleine Fliegen erzeugen, die dann im nächsten Sommer an die Stätte ihrer Kindheit zurückkehren und kleine Kokons für die nächste Generation bauen. Und so weiter, bis in alle Ewigkeit. So steht's in den Genen, für viel mehr ist da kein Platz.
An dieses nette, wenn auch anstrengende kleine Tier fühle ich mich erinnert, wenn pünktlich jeden Sommer die Schwangeren aus ihren Löchern kommen. Dieses Jahr sind es so viele, daß sich bei Renate schon Assoziationen zur Alien-Invasion im
Dorf der Verdammten einstellen. Aber auch ohne Aliens ist Schwangersein höchst trendgemäß. Und das nicht nur wegen Frau von der Leyen, die beschlossen hat, das deutsche Volk wieder zu stolzer alter Größe zu züchten. Nein, wir befinden uns im Zeitalter der Biologie, was bedeutet, daß es im Jahr Zweitausendundacht christlicher Zeitrechnung wieder
en vogue ist anzunehmen, daß der Mensch genauso simpel funktioniert wie meine kleine Fliege: Gene, Fortpflanzung, vielleicht noch bißchen Revier verteidigen, fertig. Wer in den Humanwissenschaften versucht, alles mögliche Handeln und Verhalten heutiger Menschen darauf zurückzuführen, daß (angeblich) bereits in der Steinzeit bla bla bla, sagt sehr viel weniger über soziale Phänomene aus als über sein eigenes beschränktes Weltbild. Die Einfachheit solcher Erklärungen rührt nicht von Ockhams Rasiermesser her, sondern von der bestürzenden Phantasielosigkeit eines Mario Barth und all dieser langweiligen
Comedians mit den ewiggleichen Geschlechterthemen: Männer so, Frauen so, immer so gewesen, Veränderung unmöglich.
Es scheint tatsächlich nötig zu sein, in Erinnerung zu rufen: Der Mensch ist kein reines Natur-, sondern in allererster Linie ein Kulturwesen. Männer sind größtenteils mit anderem beschäftigt als damit, ihren Samen überall zu verteilen. Die Zeiten, in denen der Mann auf die Jagd gegangen ist und die Frau das Herdfeuer bewacht hat, sind längst vorbei, sofern es sie jemals überhaupt gegeben hat und sie nicht nur das Produkt feuchter Träume von Reaktionären sind, die sich nichts anderes vorstellen können. Vielleicht habt ihr es nicht so ganz mitbekommen, aber seit der Steinzeit hat sich doch das eine oder andere getan. Zu den kulturellen Errungenschaften der Menschheit, die seither erfunden wurden, gehören unter anderem die Liebe, die Ächtung und Strafbarkeit von Vergewaltigung, die bezahlte Frauenerwerbstätigkeit und, ja, auch Verhütungsmittel.
Niemand zwingt euch dazu, euch fortzupflanzen. Ihr habt noch andere Möglichkeiten als eine Fliege. Die Weltbevölkerung umfaßt bald sieben Milliarden Menschen, da machen eure Gene auch keinen großen Unterschied mehr. Es ist kein hinreichender Grund, etwas zu tun, nur weil es alle immer schon gemacht haben. Überlegt euch, ob ihr es verantworten könnt, einen weiteren Menschen all dem Schwachsinn auszusetzen, mit dem ihr euch selbst herumschlagen müßt. Wenn ihr euch nicht sicher seid: Laßt es. Wenn sich euch die Frage erst gar nicht stellt: Laßt es erst recht. Und laßt es ganz besonders dann, wenn ihr glaubt, ein Kind sei so eine Art Haustier. Das ist es nicht. Schon gar kein ideales. Ein Kind ist das Gegenteil eines Selbstversorgers, und über lange Phasen seiner Entwicklung ist es ausgesprochen laut und sieht nicht einmal besonders putzig aus. Wenn ihr Bedarf an einem weiteren Mitbewohner habt: Ich überlasse euch gerne einen Ableger. Die Clivie produziert sie in Massen. Sie weiß es nicht besser. Ihr aber habt die Wahl.
Abgelegt unter: Modernes Leben
22.07.2008, 14:58 • Link • 1 Kommentar