Kaum ist die Mehrheit der Republikaner im amerikanischen Kongreß futsch, freut man sich hierzulande wieder auf das "gute Amerika": "als einen Pionierstaat der Demokratie, als Hort der Rechte, der Toleranz und der Chancengleichheit und natürlich (...) als starken Arm der Freiheit" (FR 10.11.2006:3). Daß dieses USA-Bild in letzter Zeit etwas ins Wanken geraten ist, liegt offenbar ganz alleine an einer kleinen Bande von Unholden, die sich vor sechs Jahren dieses großartige Land völlig gegen den Willen seiner herzensguten Bewohner unter den Nagel gerissen und damit Schindluder getrieben hat. Damit kennt man sich in Deutschland ja aus. In zwei Jahren sind dann auch die letzten abgewählt und verschwunden, und es herrscht wieder Frieden und Liebe überall. Komisch nur, daß Themen wie Folter und Guantanamo im Wahlkampf so eine geringe Rolle gespielt haben. All die guten Amerikaner sind doch sicherlich entrüstet über solche Scheußlichkeiten? Woher kam dann die Angst der US-Demokraten, "einmal mehr als Weicheier im Anti-Terror-Kampf abgekanzelt zu werden" (FR 30.10.2006:1), sollten sie diese Themen ansprechen?
Zudem habe ich vage Erinnerungen, daß der Hort der Rechte und starke Arm der Freiheit auch schon vor der Amtszeit des jetzigen Präsidenten kräftig Scheiße gebaut hat. War da nicht irgendwas in Chile? In Nicaragua? In Vietnam? George W. Bush freut sich über das Todesurteil gegen Saddam Hussein, weil damit endlich die Herrschaft des Rechts über die Tyrannei wiederhergestellt ist. Eines der Verbrechen, die Saddam zur Last gelegt werden, ist der Angriffskrieg gegen den Iran, vom Gericht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet (FR 06.11.2006:3). Hatten nicht die USA seinerzeit genau diesen Tyrannen unterstützt, weil er gerade jenen Angriffskrieg geführt hat? Einen Krieg gegen ein mißliebiges Regime, das nur an die Macht kommen konnte, weil die USA zuvor den Sturz der demokratisch gewählten iranischen Regierung betrieben hatten? Und das alles wird nie wieder vorkommen, bloß weil die Bush-Regierung abgewählt wird?
Die New Yorker Literaturwisenschaftlerin Marcia Pally bilanziert: "Gerade was die Freiheit angeht, kann nicht häufig genug daran erinnert werden, dass Amerikaner seit jeher die
ökonomische Freiheit meinen, also den Zugang zu fremden Märkten und Rohstoffen. Politische Freiheit dagegen wird von ihnen eher als historischer, vor allem in Europa beheimateter Sonderfall angesehen (...). Im Rest der Welt aber ging es den Amerikanern stets nur um ökonomische Freiheit und politische
Stabilität. Diese Auffassung von Außenpolitik wird von Politikern aller Couleur vertreten, von Demokraten genauso wie von Republikanern: Zwischen 1945 und 2005 haben die Vereinigten Staaten 50 ausländische Regierungen gestürzt, über 30 nationale Befreiungsbewegungen unterdrückt und waren zudem an Attentaten gegen 35 ausländische Staatsführer beteiligt" (
FR 10.11.2006:15). Gutes Amerika.