Frankfurter Rundschau: Dann ist diese WM ja die ideale Veranstaltung, um die Gesellschaft von Konflikten, Stress und Frustrationen zu befreien?
Klaus Theweleit: Allerdings nur, falls es gelingt, das von den ganzen mitlaufenden Nationalismen und diesem "Wir-sind-wir" frei zu halten. Dann ist diese WM ein zivilisatorischer Akt. (
FR 20.06.2006:24)
Diesen zivilisatorischen Akt sollte man wohl vor allem an dem US-Torwart Keller vollziehen, dem nach dem 1:1 gegen Italien angesichts des (ebenfalls ausgesprochen unzivilisierten) Fouls von de Rossi an McBride nicht Besseres einfiel als: "Wir haben unser Blut gegeben für Land und Team". Ein bißchen
one-tracked sind diese Leute irgendwie schon, oder? Die WM mit kriegerischen Kreuzzügen verwechselte offenbar auch der amerikanische Trainer, der gleich die ganze Bandbreite an landestypisch pathetischem Geschwafel vom Stapel ließ: "Bruce Arena (...) sprach davon, dass 'unsere Mission noch nicht beendet' sei, man könne 'unglaublich stolz sein', jeder habe 'für sein Land und unser Team gekämpft'" (
FR 19.06.2006:17).
Arena schafft es trotzdem nur auf Platz 2 meiner höchst subjektiven Hitliste der unsympathischsten Trainer, die unangefochten vom argentinischen Mexikaner Ricardo La Volpe dominiert wird. Diesem Mann möchte ich nicht auch nur im Halbdunklen begegnen. Selbst mein automatischer Kettenraucher-Sympathiebonus hilft hier nicht weiter. Gut, daß es auch ausgesprochen liebenswürdige Gestalten unter den Trainern gibt: Köbi Kuhn etwa, nicht nur aus landsmannschaftlichen Gründen einer meiner Favoriten, den großartigen Karel Brückner oder den angolanischen "Professor" Goncalves, aus dessen Mannschaft außerdem mein Lieblingsspieler kommt: der herrlich entspannte und unambitionierte (und obendrein recht gutaussehende) Torwart Joao Ricardo. Welch ein Unterschied zum übermotivierten Ekelpaket Cristiano Ronaldo, der auf dem exakt entgegengesetzten Ende meiner persönlichen Sympathieskala wohnt.
Apropos – ich hatte neulich das Pech, nicht schnell genug von der Werbung wegzulaufen und erlebte in einem Bonaqua-Spot die vielleicht furchtbarsten Sekunden meines Lebens: Johannes B. Kerner dank Computeranimation in dutzendfacher Ausführung! Wer, bitte, denkt sich zur Verkaufsförderung eine solche Horrorvision aus?
Nachtrag: Marcus mag La Volpe und nennt gute Gründe. Hilft jetzt aber auch nix mehr.